Allgemeine und Typologische Sprachwissenschaft
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Vorlesungen

Einführung in die kognitive Linguistik (Teil 2)

Dozent: Prof. Dr. Wolfgang Schulze
Termin: Mi 12-13 Uhr von 15.10.2008 bis 04.02.2009
Geschwister-Scholl-Platz 1, HGB, Raum M 109

Kommentar:

Die Vorlesung setzt die Thematik der Vorlesung des Sommersemesters 08 fort. Hier nochmals der entsprechende Kommentar:

Mittlerweile gehört es nahezu zum Standardprogramm linguistischer Curricula, eine ‚Einführung in die kognitive Linguistik‘ (KL) anzubieten. Sicherlich kann vermutet werden, dass die KL in welcher Façon auch immer heutzutage das wichtigste explanative Modell für ‚Sprache‘ darstellt, das sich in das universelle Projekt des 21. Jahrhundert, nämlich der Entschlüsselung der humanen Kognition einbettet. Von zentraler Bedeutung ist dabei die These, dass Sprache ausschließlich ‚in den Köpfen der Menschen’ stattfindet und außerhalb der humanen Kognition nur dann ‚existiert‘, wenn sie von eben dieser Kognition als ‚Sprache‘ konstruiert wird. Damit wird die Sprachwissenschaft zu einer Phänomenologie, die nicht nur die linguistischen ‚Lesarten‘ von dann vor-sprachlichen Phänomenen sowie ihre Bedingtheiten untersucht, sondern auch die konstruierende Haltung des Beobachters von solchen Phänomenen in Rechnung stellt (bzw. stellen sollte).

Letztendlich zeigt sich so, dass vor dem Hintergrund der universellen kognitiven Bedingtheit von sprachlichen Phänomenen der Terminus ‚kognitive Linguistik‘ eine Tautologie darstellt. Dass sie sich dennoch als ‚Zweig‘ der wissenschaftlichen Betrachtungsarten (oder: Anschauung) von ‚Sprache‘ etabliert hat, liegt vornehmlich daran, dass andere ‚Zweige‘ sich gegenüber einer KL-Perspektive unter Berufung auf einen wohl nicht gegebenen Objektivismus welcher Gestalt auch immer abzugrenzen versuchen. Geht man aber von einer argumentativ und empirisch ‚hochentwickelten‘ KL aus, zeigt sich schnell, dass diese Abgrenzungsversuche eher wissenschaftssoziologisch denn wissenschaftstheoretisch begründet sind: In der Tat sollte eine solche KL den Anspruch haben, den explanativen Hintergrund für alle sprachwissenschaftlichen Einzeldisziplinen zu stellen, d.h. im Sinne einer mater scientiarum linguisticarum zu fungieren, als generelle Matrix, auf die Einzelbetrachtungen abzubilden sind (womit natürlich nicht in Frage gestellt werden soll, dass die Einzeldisziplinen intrinsisch auch über spezifische Erklärungsparadigamata verfügen).

In der Vorlesung sollen zunächst die wissenschaftsgeschichtlichen Aspekte einer KL erarbeitet werden, bevor dann in einem zweiten Schritt der aktuelle Zuschnitt der KL exemplarisch illustriert wird. Hierbei werden unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb der KL-Tradition präsentiert und evaluiert, bevor dann in einem dritten Schritt das Modell eines "Radical Experientialism" (RadEx) und seine linguistische Ausgestaltung im Sinne einer 'Kognitiven Typologie' ('Cognitive Typology') detaillierter ausgearbeitet wird. Dabei wird es vor allem um die Frage gehen, wie eine (holistische, ganzheitliche) KL-Theorie in ein multikausales Szenario kognitiver Prozesse einzubetten ist, das von der These ausgeht, dass Menschen mit ihrer Welt über ständig sich ändernde, aber schematisierte  Wahrnehmungsprozesse in Verbindung stehen, wobei diese Wahrnehmungsprozesse über Erfahrungssegmente als Konstruktionen der Kognition in 'Vorstellungen' überführt werden. RadEx zufolge sind es sowohl Schematisierungen der Wahrnehmung als auch Prozesse des Erfahrungs'abrufs' und der Kategorisierung der daraus resultierenden Vorstellungen, die ursächlich sind für Symbolisierungsprozesse mittels eines artikulationsbasierten, motorischen Wissens. Insofern sind sowohl Wahrnehmungs- also auch Erfahrungschemata, Kategorisierungsverfahren und Typen der Symbolisierung verantwortlich für die Aufmerksamkeit ('attention') einer Kognition ihrer Reizung gegenüber, ebenso wie sekundär grammatisches (poiematisches) und pragmatisches Wissen in der 'Ausrichtung' der sprachbasierten Symbolisierungsprozesse auf die Außenwelt ('information') sprachliche Äußerungen formatieren (Attention Information Flow, AIF).

Hierbei ist auch die Frage von Bedeutung, wie 'bewusst' eine Kognition sprachlich verfährt, mithin welche Rolle das humane 'Bewusstsein' in der KL hat. In einer RadEx-basierten Modellierung sprachlich-kognitiver Ereignisse ist zudem von Bedeutung nachzuvollziehen, welcher der genannten Prozessbereiche (als evolutionärer Vorteil) angeboren und welcher (als (kulturelles) Traditionssystem) erlernt wird, weshalb eine unmittelbare Verbindung sowohl mit der Spracherwerbsforschung als auch mit einer historischen Sprachwissenschaft bzw. einer historischen Sprachsoziologie und einer entsprechenden Kultursoziologie gegeben ist.

Schwerpunkt der Vorlesung werden die Bereiche 'Konzeptualisierung von Ereignisvorstellungen und ihre Versprachlichung', 'Kognitive Sprachtypologie' und - falls es die Zeit erlaubt - 'kognitive Sprachsoziologie' sein, doch werden die o.g. Aspekte durchgängig wieder aufgenommen bzw. weitergeführt. Insofern ist die Vorlesung auch für Neuinteressenten durchaus geeignet.